Skitouren-Erlebnisse in der Silvretta

Jamtalhütte vom 10.-14.3.2022


Eine Skitour für Fortgeschrittene der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins. Mit dabei waren zwei Snowboarder, Alex und Peter mit ihren Splitboards, und drei Skifahrer nämlich Timo, Christian und ich als Trainer. Wir haben Augstenspitze, Haagspitze, hintere Jamspitze und die Gamsspitze, alles 3000er bestiegen.


Es ist März und ich laufe auf dem Gletscher zur hinteren Jamspitze mit 3228 Meter Höhe. Über mir steht die Sonne und ich sehe das gleißende Licht im Gletschereis glitzern. Ich habe Skitourenski an den Füßen und schiebe mit langen Schritten zuerst den einen und dann den anderen Fuß nach vorne, um die 1000 Höhenmeter von der Jamtalhütte (2165m) bis zum Gipfel zu absolvieren.



Gerade eben haben wir eine harschige Steilstelle im Aufstieg überwunden, wo wir die Skier bzw. Splitboards sehr genau setzen müssen, um nicht abzurutschen. Man könnte für das kurze Stück Harscheisen an der jeweiligen Bindung montieren, jedoch habe ich mir den Aufwand gespart. Ergebnis ist etwas mehr Anstrengung, wenn der Ski abrutscht. Man kann auch eine Technik anwenden, bei der man den Skistock direkt neben der Bindung unter den Ski setzt, so dass man auf dem Skistock im Hang stehen bleibt, falls man abrutscht. Mit dieser Technik kann man kurze eisige Stellen überwinden. Bei den Splitboardern hat Peter in weißer Voraussicht die Harscheisen montiert, was ihn in diesen Stellen gut aussehen lässt.

Mit Blick nach vorne sehe ich die etwa 300 Meter höher liegende Felspyramide der hinteren Jamspitze vor mir und in dem hellen Sonnenschein am Morgen ziehen wir die Skispur diagonal hinauf über den Hang zum Jamjoch. Lediglich der eiskalte Wind macht uns zu schaffen, vor allem da wir nach etwa 2 Stunden Aufstieg eine Pause einlegen wollen, wofür sich bisher kein windgeschützter Ort gefunden hat. Rechts von mir sehe ich den Felspfeiler der Vorderen Jamspitze und erwarte dort nahe am Felsen einen windgeschützten Ort zu finden. Wir spuren die 200 m hinüber zur Felswand und gehen unter einem überhängenden Pfeiler, geschützt vor Steinschlag zur Vesperpause über. Wir haben Glück und es ist dort nahe an der Felswand doch recht windgeschützt. Mit Verwunderung sehe ich hier im Winter bei minus 10 Grad weiße Blüten eines Steinbrechs, allerdings sind diese eisgetrocknet.




Nach der Pause fällt es leicht sich für den letzten Teil des Aufstiegs zu motivieren und wir sind nach einer guten Viertelstunde oben am Skidepot im Joch, wo es auf der anderen Seite steil hinunter in die Schweiz geht. Die Skier und die Snowboards werden auf die Abfahrtstellung umgestellt und die Felle, die den Aufstieg ermöglichten, werden in den Rucksäcken verstaut. Wir beginnen nun ohne Ski, nur mit den Skistiefeln, zur hinteren Jamspitze aufzusteigen. Das sind ungefähr 70 Höhenmeter und als wir oben am Gipfel ankommen, haben wir eine atemberaubende Rundsicht, vom Ortler (3905m) also Italiens höchstem Berg ohne Grenzberge, dann über den Piz Buin (3312m) zum Piz Linard (3410m) als dem höchstem Gipfel der Silvretta. Im Norden sehen wir bis zum Arlberg, wo wir dieses Jahr schon beim Freeriden waren.



Nach ungefähr einer halben Stunde Aufenthalt auf dem Gipfel und netter Kommunikation mit einer bayerischen Alpenvereinsgruppe fahren wir bei herrlichen Firnverhältnissen, teilweise mit Triebschneeansammlungen wieder den Gletscher hinunter. Die Harschflächen und die Triebschneefelder verlangen Konzentration, da sich der Widerstand an den Skiern immer wieder ändert, so dass man die Körperhaltung über dem Ski verlagern muss. Schon nach 10 Minuten sind wir atemberaubende 500 Höhenmeter abgefahren und sind in einem weiten Gletschertal gelandet, auf dem wir nochmals mit den Lawinenverschütteten-Suchgeräten (LVS) eine Suchübung absolvieren, um bei der Suche nach Verschütteten gegebenenfalls noch schneller zu werden.

Es ist mittlerweile 14:00 Uhr, also noch zu früh um zur Hütte zurück abzufahren. Wir haben mittlerweile über 1000 Höhenmeter Aufstieg hinter uns und ich überlege, ob wir noch einen zweiten Gipfel besteigen könnten. Vor 30 Jahren war ich bereits einmal auf der Gamsspitze (3107m), die damals verhältnismäßig einfach zu besteigen war, da man über eine Schneerinne zum Gipfelkreuz hochsteigen konnte. Daran erinnere ich mich und wir spuren nun in das hoch gelegene Gletscherbecken unterhalb der Gamsspitze hinein. Immer wieder meint man dem Gipfel nahe zu sein, jedoch zeigt sich dann ein weiterer Buckel, der noch vor einem liegt. Auf diese Weise zieht sich der Zustieg eine ganze Weile. Am Ende kommen wir unterhalb einer steilen Schneeflanke des Vorgipfels in eine mittlerweile beschattete Scharte, da die Nachmittagssonne hinter dem Gipfel steht. Von dort steigen wir dann ohne Ski auf den Vorgipfel auf. Der Gipfel der Gamsspitze (3107m) hat sich in den letzten Jahren wegen geringerer Schneemengen verändert. Aus dem Schneegipfel, den ich noch in Erinnerung habe, ist mittlerweile ein Felsgipfel geworden. Vor uns steht eine etwa 70 m hohe und 200 m breite Gipfelpyramide. Die erste Stufe auf den Grat hinauf lässt sich verhältnismäßig leicht erklettern. Allerdings ist der weiterführende Grat ausgesetzt. Ich überlege, ob wir spät am Nachmittag, also im Winter etwa 2 Stunden vor Sonnenuntergang, die ausgesetzten Stellen hinüber zum Kreuz ungesichert gehen sollten. Ich sehe mich um und da wir teilweise Snowboardschuhe, statt stabilen Bergstiefel dabeihaben, beschließe ich hier doch ein Seilgeländer aufzubauen. Timo und Peter haben unsere Seile hochgetragen und nun bewährt sich dies.




Ich finde schnell einen Felskopf an dem ich unser Seil befestige, baue mit einer Schlinge eine Zwischensicherung und befestige das Seilende 40 m weiter am Gipfelkreuz. So können nun alle in der Art einer Klettersteigsicherung eingehängt zum Gipfelkreuz zu mir herüber klettern. Mir fällt auf, wie Alex am Seil locker herüberklettert, was schön anzusehen ist. Und wir haben Alle das Gefühl des Gipfelsieges bei herrlichem Sonnenschein. Wir machen Fotos und ich genieße diesen ausgesetzten Ort hier am Gipfel in der Abendsonne.


Während die Gruppe später wieder zu denen Skiern absteigt, bin ich noch beschäftigt das Seilgeländer abzubauen und das Klettermaterial zu verstauen. Beim Abstieg habe ich auch Zeit, ein paar Steilrinnen für die Skiabfahrt anzuschauen, die ich gern gefahren wäre, wenn wir früher hier oben am Gipfel gewesen wären. Nun sind wir aber, da wir die hintere Jamspitze und Gamsspitzen an einem Tag gemacht haben, heute schon 1700 Höhenmeter im Aufstieg unterwegs. Außerdem wollen wir keine Risiken am Abend eingehen, da ich weiß, dass wir noch etwa 1 Stunde Sonnenlicht für die Abfahrt haben.


Dies stellt aber kein Problem dar, da wir alle zusammen wieder in herrlichem Schnee hinunter in das untere Gletscherbecken schwingen. Von dort queren wir in langer Schussfahrt hinüber auf den Chalausferner. Bei der Querung machen wir noch Filmaufnahmen von den Snowboardern und uns Skifahrern in Steilhängen auf dem Gletscher. Begeistert von den gelungenen Abfahrten geht es fast 1 km durch das Gletscherbecken über steile Gletschermoränen und über Firnhänge mit Windgangeln. Dies sind vom Wind aufgeworfene eisige Strukturen, die über dem Schnee teilweise bis zu 15 cm hochstehen und teilweise wie Ufos aussehen. Am Ende fahren wir dann die Abhänge hinunter und kommen direkt von oben zur Jamtalhütte hinunter. Diese Hänge sind stellenweise über 45° steil, so dass uns klar ist, dass wir diese nur bei diesen guten Lawinengefahren-Bedingungen der Stufe eins und zwei, die wir derzeit haben, befahren können.  Wir erreichen die kleine Kapelle vor der Hütte, die hier sehr eindrücklich vor dem Ausblick zurück zur hinteren Jamspitze steht, auf der wir heute waren. Nun freuen wir uns auf das gute, dreigängige Abendessen und auf noch etwas Theorie und planen anschließend auch noch die Tour für den nächsten Tag.




Am ersten Tag unserer Tour nach dem Aufstieg zur Jamtalhütte haben wir beschlossen den Chalausferner hinauf zu steigen und dort einen der Gipfel zu machen. Auf dem Weg mit den Tourenskiern sind wir zunächst über das Steinmannl nach rechts gequert und dann haben wir mittels der vorbereiteten Routenplanung mit Marschzahlen mit dem Kompass und dem Höhenmesser die Richtung in das Gletschergebiet angepeilt. Der Chalausgletscher geht hier steil in das Hochtal hinauf, wo man später auf dem horizontalen Gletscher ungefähr einen Kilometer hineinläuft, bevor der steile Übergang zur nördlichen Augstenspitze (3228m) möglich ist. Die Oberfläche des Gletschers ist mit harter eisiger Schicht, einem so genannten Harschdeckel abgedeckt. Hier muss man wieder vorsichtig aufsteigen, so dass man nicht abrutscht. Wir hatten zwar sonniges Wetter, aber einen eiskalten Wind von vorne. Dies hat dazu geführt, dass die Hände nach dem Fotografieren und Navigieren, nicht mehr warm geworden sind, obwohl sie dann wieder zurück in den Handschuhen waren. Hier hat sich bewährt, dass Timo als Triathlet gute Kondition mitbringt und er hat hier längere Strecken für die Gruppe gespurt. Nach einigen Spitzkehren den Hang hinauf in Richtung zum Joch, dort wo der Hang abschließend zu steil wird, dass man ihn mit den Skiern begehen kann, haben wir die Skier getragen und sind die Spur tretend nach oben gestiegen. Wir sind dann nach Überschreiten des Jochs in das dahinterliegende südseitige Tal gekommen, wo es deutlich wärmer war.




Auf der anderen Seite ging es den kürzesten Weg hinunter ins dortige Gletscherbecken in der Nähe eines zugefrorenen Bergsees, wo wir erst einmal eine längere Mittagspause gemacht haben. Von dort geht es dann etwas mühsam hinauf in Richtung Augstenspitze, die sich in den letzten 20 Jahren ebenfalls deutlich verändert hat. Früher war es hier relativ einfach über das Schneefeld hinauf zum Gipfel zu kommen. Mittlerweile geht es über die Schneeflanke hinauf, die uns im Aufstieg auch den Weg ermöglicht hat, indem wir mit den Schuhspitzen die Trittspuren tief genug eingeschlagen haben und so über die 150 m hohe Flanke etwas ausgesetzt zum Gipfel gelangt sind. Oben am Gipfel haben wir nur kurz die Aussicht genossen, bei guter Sicht in die umliegenden Gebirge, haben aber wegen des eisigen Windes bald mit dem Abstieg begonnen. Diesmal nicht in die sehr steile Flanke zurück, sondern wir klettern in das südseitige Joch über den felsigen Grat hinunter. Dort wo früher ein gut begehbares Schneefeld vom Joch nach unten führte ist heute nur loses Geröll im steilen Gelände vorhanden, das sofort wegrutscht und die Flanke hinunterfällt, wenn man hineintritt. Wegen der Steilheit und der Absturzgefahr in der heutigen Situation sind wir dann noch weiter hinübergeklettert, dort wo der Fels wieder etwas besser wird. Allerdings hat sich auch herausgestellt, dass ungesichertes Klettern in diesem Gelände mit der darunter liegenden 100 m -Flanke nicht die beste Lösung ist. Daher habe ich ein Seilgeländer eingerichtet, an dem wir uns alle beim Hinunterklettern festhalten konnten, was insbesondere hilft, da das Gelände beim Klettern sehr brüchig ist.


Unten, wieder bei den Skiern angelangt, sind wir mit diesen auf der sonnigen Schneeflanke hinunter zurück zum Bergsee gefahren und auf der Gegenseite wieder zum Joch aufgestiegen. Der Anfang direkt nach dem Joch nordseitig in die steile Flanke hinunter zum Chalausferner ist zwar anfangs etwas abweisend, sobald wir aber dann auf einem kleinen festgetretenen Plateau unsere Skier und Snowboards angelegt haben, sind wir in unserem Metier und schwingen die Hänge über den Gletscher hinunter. Die fast 1000 Meter Abfahrt auf der Nordseite wird belohnt mit einer leichten Schneeauflage auf dem Firn, in der man hervorragend sehr schöne kurz Schwünge fahren kann. Wir gelangen dann ab dem Steinmannl in die Hänge über der Jamtalhütte, so dass wir wieder direkt am Ende bei der Hütte ankommen und uns dort schon auf das Abendessen freuen können.




Den besten Schnee hatten wir dann tags darauf bei der Abfahrt von der Haagspitze. Die Haagspitze liegt in einem Seitental, das man über ein steiles Couloir ersteigen kann. Dieses Hochtal ist durch einen Gletscher gebildet, auf den wir nach mühsamem Anstieg gelangen. Wir haben wieder Sonnenschein bei kühlem Wind. Um im Fall eines Spaltensturzes den Kameraden wieder aus der Spalte bergen zu können, legen wir hier das Seil an und gehen in Gletscherseilschaft über den Ferner weiter. Nach etwa 3 Stunden Aufstieg erreichen wir den abschließen Steilhang über den wir im Zickzack hinaufspuren, um dann auf einen Pass zu gelangen, wo wir ein Rucksackdepot einrichten. Von dort steigen wir die letzten 50 Höhenmeter zum Gipfel auf. Der Gipfel selbst besteht aus einem schmalen Grat auf dem wir dann ein paar schöne Fotos machen und auch zwei andere Tourengeher treffen, mit denen wir uns über die erlebten Abenteuer unterhalten können.


Wie bereits erwähnt, hatten wir hier auf den nordseitigen Hängen herrliche Schneeverhältnisse und wir haben auch immer wieder bei der Abfahrt angehalten, um uns gegenseitig zu filmen und uns über die Abfahrt zu freuen. Besonders beeindruckt hat uns hier Christian, der im Gipfelhang bei bis zu 50 Grad Hangsteilheit mutige Schwünge gefahren hat. Unten die letzten 400 Höhenmeter haben wir uns dann in der Steilflanke rechts des Couloirs gehalten und sind dann in atemberaubenden Abfahrten von Plateau zu Plateau im Hang hinuntergefahren, um so Stufe um Stufe hinunter zur Jamtalhütte zu gelangen. Am Ende waren wir alle tief beeindruckt von der überwältigenden Gletscherlandschaft in der Silvretta und den Blick auf die benachbarten Berge. Begeistert waren wir, dass wir die kleinen Herausforderungen bei den Aufstiegen und die bis zu 50° steilen Hänge in den Abfahrten als Team so gut gemeistert haben.


Klaus - 23.3.2022