Klettern im Wilden Kaiser
Im Wilden Kaiser bei Kufstein wurde Klettergeschichte geschrieben. Deutsche und Österreicher haben in diesem herrlichen Felsgebirge Maßstäbe gesetzt. So hat Hans Dülfer in den Jahren zwischen 1911-1913 Touren wie die Fleischbank-Ostwand und Totenkirchl-Westwand erstbegangen. Derartiges war erst möglich nach dem Dülfer sowohl die nach ihm benannte Dülfer –Abseilmethode sowie die Piazza-Technik im Wilden Kaiser mit eingeführt hat. Dülfer kam aus Wuppertal nach München und verstarb im ersten Weltkrieg bereits mit 23 Jahren. Welche atemberaubenden Touren hätte Dülfer nach der Totenkirchl Westwand wohl noch erstbegehen können, hätte er mehr als 5 Kletterjahre im Kaiser Zeit gehabt?
Aber auch Hans Fiechtl, ein österreichischer Bergführer, hat ihm Wilden Kaiser neue Kletterrouten erschlossen. Er gilt als Miterfinder des modernen Felshakens und hat am Totenkirchl die anspruchsvolle Sockelroute begangen, die direkt gegenüber dem Stripsenjochhaus liegt. Obwohl er dort mehrere seiner Felshaken geschlagen hat, kam er 1925 beim zweiten Durchstieg in der Route selbst ums Leben. Diese Klettertour wird heute noch mit 5+ bewertet und zeigt jedem der sich hier versucht, was für Leistungen in den 1920er erbracht wurden.
Aber auch die moderne Klettergeschichte hat im Wilden Kaiser ihre Spuren hinterlassen. 1977 wurde am Fleischbankpfeiler von Reinhard Karl und Helmut Kiene mit den Pumprissen der siebte Grad eingeführt. Dies war ein Markstein bei der Schwierigkeitsbewertung, da bis dahin der sechste Grad mit „äußerst schwierig“ den höchsten Kletterschwierigkeitsgrad darstellte. Gleich neben den Pumprissen hat Stefan Glowacz 1994 mit seiner Route „des Kaisers neue Kleider“ dem Wilden Kaiser dann den Schwierigkeitsgrad 10+ beschert.
Mit dem Alpenverein im Wilden Kaiser
Im Jahr 1981 waren wir mit der frisch gegründeten Nürtinger Jugend des Alpenvereins das erste Mal im Kaiser-Gebirge. Vom Stripsenjochhaus ging es mit viel zu schweren Rucksäcken in die steinerne Rinne zwischen Fleischbank und den Predigtstuhl. Die Predigtstuhl-Nordkante war unser Ziel und mit mehreren Seilschaften waren wir im ausgesetzten Gelände an der Kante unterwegs.
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Als die Sonne hervorkam erreichten wir am späten Nachmittag das berühmte Oppel-Band, auf die man sich kriechend durch die glatte Ostwand des Predigtstuhls bewegt, um danach wieder im vierten Schwierigkeitsgrad zum Gipfel zu gelangen. Mir ist noch eindrücklich in Erinnerung, wie wir am Abend durch den Botzong-Kamin im Dülfersitz mit Prusik-Schlinge fünf Seillängen abgeseilt sind. Wer dabei nicht aufgepasst hat, hatte schnell Brandwunden von der Seilreibung an Hals und Beinen. Erst spät am Abend sind wir dann durch die Steinerne Rinne wieder zurück zur Hütte gelangt.
Ein Jahr später im Jahr 1982 waren wir wieder zurück im Wilden Kaiser und haben uns gleich in die Totenkirchl-Westwand von Hans Dülfer gewagt. Wir habe hoch oben in der Wand den bekannten Nasenquergang mit Abseiltechnik querend absolviert. Seit den späten achtziger Jahren wurde dann diese ausgesetzte Schlüsselstelle auch frei geklettert, was wir damals noch nicht einmal in Erwägung gezogen hatten. In Erinnerung geblieben sind die Einstiegsrisse durch die Schlucht, wo uns Gämsen mit Jungen begleitet hatten und ich das erste Mal sehen konnte, dass Gämsen auch den dritten Grad seilfrei klettern können. Danach steigern sich dann oberhalb der Winklerschlucht die Schwierigkeiten in der Wand bis zum alpinen sechsten Schwierigkeitsgrad und vor allem der Schluchtquergang nach dem Nasenquergang war diffizil zu finden und auch zu klettern. Nach einigen Seillängen ab der Biwakhöhle begannen dann die Ausstiegsrisse, aus meiner Sicht mit den damaligen Klemmkeilen (Hexcentrics) kaum zu sichern. Daher war ich froh das ich mit guten Vorsteigern unsere Sektionsjugend unterwegs war, die dort die anspruchsvollen Seillängen geführt hatten. Etwa um 16:00 Uhr waren wir dann bei erbarmungsloser Sommerhitze am Gipfel angelangt.
Auch der Abstieg vom Totenkirchl über den Führerweg hat es noch in sich, der damals noch nicht mit Abseilstellen und Markierung eingerichtet war. Über Felsköpfe mussten Abseilstellen eingerichtet werden und es waren damals viele Passagen ungesichert abzuklettern. Am Abstieg nach der ersten größeren Abseilstelle gibt es in eine Grotte ein Wasserbecken, wo auch im Sommer Wasser vorhanden ist. Dieses hatten wir damals komplett leer getrunken. Uns war in der Westwand am Nachmittag bei den sommerlichen Temperaturen schon lang das Wasser ausgegangen. Insofern war die natürliche Wasserstelle hier die Rettung. Dülfer hat mit der Kletterroute durch die Totenkirchl Westwand eine zeitlose alpine Tour hinterlassen, in die man auch in heutiger Zeit nicht zu spät einsteigen sollte.
Schon 1982 war mir damals aufgefallen, dass gegenüber dem Stripsenjochhaus in der Sockelwand des Totenkirchl eine Tour zu sein scheint, die mit angegebenem Schwierigkeitsgrad 4+ und einigen technischen Stellen einfach zu begehen sein könnte. Wir sind dann kurzerhand in diese Fiechtl–Sockelroute eingestiegen, musste jedoch feststellen, dass schon die Routenfindung in der ersten Seillänge mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist. In der dritten Seillänge kommt man dann an einen wunderschönen Hangelquergang, der für damalige Verhältnisse mit alten Fiechtlhaken einigermaßen gut abgesichert war. Wir haben in der Folge in den Überhängen oberhalb vom Hangelquerung nicht einmal daran gedacht, dass die Klettertour durch den Überhang oberhalb des Quergangs verlaufen könnte. Infolgedessen sind wir vom Standplatz danach nicht wieder 5 m zurück geklettert, sondern sind weiter rechts geraten, wo 1982 ein erster Bohrhaken gesetzt war. Auf diese Weise haben wir die Fichtl-Kletterroute damals verfehlt und sind in eine viel zu schwere Neutour rechts daneben geraten, aus der wir uns letztlich mit Querung hinüber zur Führernadel vor dem Totenkirchl gerettet haben.
Erst in den letzten Jahren bin ich mit starken Vorsteigern wieder in die Fichtl hineingeklettert und musste feststellen, dass diese auch bei der heute mit Bohrhaken in weiten Abständen (10 m) gesicherten Route den sicheren Vorsteiger braucht. Es geht nach dem Hangelquergang und dem kurzen Abstieg vom Stand zurück durch den überhängenden Riss und in der Folge über seichte Risse zu einem beeindruckenden 60 m Kamin. Wenn man hier einsteigt, wird schnell klar, dass derartige Kamine in der heutigen Zeit kaum trainiert werden, so dass man hier geneigt ist eher die Schwierigkeiten höher einzuschätzen. Die Kletterroute von Fichtl gehört auch heute noch zu den ganz großen Abenteuern und wäre in heutiger Zeit frei geklettert mit Sechserstellen und mit langen ungesicherten Kletterstrecken zwischen den mittlerweile sanierten Borhaken. Fichtl hat diese Kletterroute vor mehr als 100 Jahren erstbegangen.
Abenteuer bis zum 4. Schwierigkeitsgrad
Mehrere Routen im Wilden Kaiser bis zum vierten Schwierigkeitsgrad bieten tolle und lange Kletterei. Am Totenkirchl beginnt in der Nähe der Führernadel, etwa 20 Minuten von der Stripsenjochhütte entfernt, der Heroldweg. Man steigt von dort etwa 10 Minuten weiter den rot markierten Abstiegsweg (Führerweg) hoch, bevor man rechts an einem Riss abzweigt und zunächst etwa 300 Höhenmeter im leichteren Gelände noch oben in eine Scharte rechts der teils überhängenden Totenkirchl-Nordwand gelangt. Auf dem folgenden Foto des Totenkirchl verläuft der Heroldweg von der tiefen schlitzartigen Scharte ganz links am Grat auf einem Band in der Nordwand Richtung Bildmitte um die ersten beiden mächtigen Pfeiler herum und dann durch die zweite tiefe Schlucht senkrecht nach oben zum Gipfel zu führen.
Von dort gelangt man nach 3 schönen Kletterseillängen mit der Schlüsselstelle auf einem Band atemberaubend durch überhängenden Wandbereiche der Nordwand. Hier stört auch nicht, dass man letztlich nicht am Gipfel selbst zum Ausstieg kommt, sondern noch eine halbe Stunde auf dem Führerweg zum Gipfel unterwegs ist. Der Heroldweg gehört zu den schönsten Abenteuerrouten der unteren Schwierigkeitsgrade im Wilden Kaiser. Auf den beiden folgenden Fotos sind wir unterwegs auf dem Heroldweg.
Auch der Fleischbank-Nordgrat ist eine sehr beeindruckende Route im dritten Schwierigkeitsgrad. Allerdings sollte man sich hier von der Kletterschwierigkeit allein nicht leiten lassen. Es handelt sich um einen langen Kletterweg, wo die Routenfindung und die Art der Sicherung entscheidend sind. Mit klassischem Seilschaftssichern kommt man schnell in die Nacht. Die erste Aufgabe ist den Einstieg an einer abgespaltenen Platte zwischen Fleischbank und Totenkirchl im Kessel zu finden und dann den Kamin die 70 m hinauf zu steigen. Nach ein paar schönen Plattenseillängen wird man eher auf eine Sicherung mit dem laufenden Seil umsteigen, um hier zügiger unterwegs zu sein. Die Sicherungsart am laufenden Seil, wobei das zwischenzwei Kletterern etwa 30 m langen Seil lediglich über mehrere Zwischensicherungen angehängt wird, verhindert den Absturz der ganzen Seilschaft. Allerdings empfiehlt sich die Anwendung nur dort, wo nicht mit Stürzen gerechnet wird, da es im Sturzfall durchaus auch zu Verletzungen beim Vorsteiger kommen kann. Dies kann dann noch optimiert werden, indem eine Rücklaufsperre wie ein Micro traction ins laufende Seil an einem guten Haken dazu gehängt wird, so dass der Nachsteiger beim Sturz den Vorsteiger am Seil nicht nach unten nachzieht. Auf dem folgenden Foto ist rechts der Mitte der Fleischbank-Nordgrat in seiner Steilheit sichtbar. Die Kletterroute hält sich meist rechts der scharfen Gratkante. In der Mitte des Fotos verläuft die Steinerne Rinne mit dem schönen Eggersteig.
Wer schnell unterwegs ist, wird nach etwa 3 Stunden über den gestuft Nordgrat den Fleischbankgipfel erreichen. Es gibt auch Seilschaften, die nach 8 Stunden noch nicht am Gipfel sind. Vom Gipfel bietet sich ein erstaunlicher Ausblick in die Steinerne Rinne oder hinüber zur schönen, einsamen Ostverschneidung am Totenkirchl. Viele der klassischen Routen wie die Dülfer-Westwand am Predigtstuhl oder die Routen am Christaturm sind von hier aus zu sehen. Es folgt dann noch der Abstieg vom Fleischbankgipfel hinunter und vorbei am Christaturm über den Herrweg, bis die Steinernen Rinne in der Nähe das angelegten Helikopterlandeplatzes wieder erreicht wird. Beim Weg hinunter durch die Steinerne Rinne kommt man vorbei an den Marksteinen der Klettergeschichte wie der Dülfer-Ostwand auf die Fleischbank oder Kletterrouten wie die Wiessner-Rossi oder am Fleischbankpfeilerfeiler mit den Pumprissen. Beim Blick hinauf in die steilen Felswände an der Fleischbank fühlt man sich als Kletterer dann häufig doch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Trotzdem sind die Abenteuerrouten im Wilden Kaiser immer eine Begehung wert.
Text und Bilder von Klaus Berghold